Das Tanzhaus Basel begeistert seit September mit einem vielfältigen Programm. Joachim Schlömer, der kreative Leiter, spricht über die ersten Monate, seine Vision für das Haus und den Einfluss der Digitalisierung auf die Tanzkunst.
Joachim, seit Ende September finden die ersten Vorstellungen im Tanzhaus Basel statt. Neben dem Soft Opening gab es Gastspiele, Programmpunkte mit Publikumsbeteiligung und schliesslich deine Premiere mit dem Stück «Rauschen». Mit welchen Gefühlen blickst du auf die letzten zwei Monate zurück?
Es waren intensive und hektische Wochen. Drei Tage vor der Premiere waren beispielsweise die Räume noch nicht fertig, sodass wir keine einzige Bühnenprobe machen konnten. Technik und Licht mussten wir in letzter Minute einrichten – ein echter Kraftakt. Natürlich hätte ich mir zur Eröffnung etwas mehr Ruhe gewünscht, aber so ist das Theater. Am Ende klappt es doch immer irgendwie. Umso schöner ist es, dass alles so gut gelungen ist – und dass wir bei allen Events durchweg erfolgreich waren.
Euer Programm war sehr abwechslungsreich – von einem indischen Filmabend über ein Street-Style-Dance-Battle bis hin zu deinem Stück. Wie vielfältig war das Publikum?
Sehr vielfältig! Ich war wirklich beeindruckt, wie viele verschiedene Communities den Weg zu uns gefunden haben. Das zeigt, dass unsere Strategie, ein Programm für ein breites, diverses Publikum zu schaffen, aufgegangen ist. Jetzt gilt es, diesen Erfolg langfristig zu sichern. Das bedeutet: Wir möchten die Neugier und das Interesse unseres Publikums in einen echten Dialog und eine tiefere Teilhabe umwandeln.
Diese Woche finden die letzten drei Veranstaltungen in diesem Jahr statt. Was erwartet das Publikum?
Das Publikum erwartet eine Auseinandersetzung mit Tanz, Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz (KI). Am Donnerstag gibt Brigitte Fässler, Fotografin und Medienkünstlerin aus Basel, Einblicke in den Stand ihrer Arbeit, gefolgt von einem anschliessenden Austausch. Als «Associated Artist» wird sie für eine Saison vom Tanzhaus unterstützt. Wir stellen ihr den Raum zur Verfügung, um ein künstlerisches Projekt zu entwickeln, das Tanz und KI miteinander verbindet. Ende der Saison 2024/25 wird sie ihre multimediale Tanzperformance dem Publikum präsentieren. Am Samstag freuen wir uns auf die beiden renommierten Regisseure und Choreografen Tobias Staab und Gilles Jobin, die auf ganz unterschiedliche Weise Tanz und mediale Technik miteinander kombinieren: In Tobias Staabs Live-Performance «Autonomous Avatar» begegnen Tänzer:innen, die physisch auf der Bühne stehen, ihren digitalen Doppelgänger:innen – auch als Avatare bekannt. Bei Gilles Jobins Stück «Cosmogony» handelt es sich um eine Live-Übertragung, die in Genf aufgezeichnet und in Echtzeit auf die Leinwand des Tanzhauses projiziert wird. In dieser Performance tragen reale Menschen Morphing-Suits, die sie in fantastische, oft merkwürdige Kreaturen verwandeln – eine Technik, die stark an Methoden aus der Gaming-Industrie erinnert und spannende neue Perspektiven auf Tanz und Technologie eröffnet.
Das klingt sehr komplex.
Deshalb sollte man alle Performances anschauen (lacht). Wir lassen unser Publikum aber nicht mit Fragen nach Hause gehen: Am Samstag gibt es nach den beiden Performances einen Talk, der die Technologie, die dahintersteckt, thematisiert. Wir legen dem Publikum die Technik quasi offen. Am Sonntag geht es dann mit zwei Workshops weiter: Im ersten Workshop kann man selbst in einen Motion-Capturing-Suit schlüpfen und so hautnah erleben, wie die Technik funktioniert. Im zweiten Workshop zeigen wir, wie Mockups erstellt werden – die Teilnehmenden können ihr eigenes Gesicht scannen und mit ihrem Aussehen spielen.
Als Leiter des «Labor Tanz & Medien» bist du für solche multimedialen Programmformate verantwortlich. Gleichzeitig bist du Leiter des «Choreografischen Zentrums». Was genau kann man sich unter diesem Bereich vorstellen?
Das «Choreografische Zentrum» ist ein Begriff, der vor allem in Frankreich bekannt ist. Im deutschsprachigen Raum gibt es nur zwei Häuser, die diesen Titel tragen, eines davon ist die Zeche Zollverein in Essen. In einem solchen Zentrum geht es vor allem um die Entwicklung von Tanzstücken – von der Idee und Dramaturgie bis hin zur Aufführung. Es ist ein Raum für die kreative und konzeptionelle Auseinandersetzung mit Tanz und den damit verbundenen Prozessen. Im Tanzhaus Basel umfasst das «Choreografische Zentrum» neben selbst entwickelten Stücken auch Gastspiele, Kooperationen sowie Co-Produktionen. Zudem streben wir an, in enger Zusammenarbeit mit unseren drei Schwerpunkten neue Projekte zu entwickeln. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Wissensvermittlung im Bereich Tanz.
Was bedeutet das?
Nächstes Jahr planen wir ein Symposium, bei dem wir grundlegende Fragen zum Thema Tanz erörtern möchten: Wie entwickelt man ein Tanzstück? Was unterscheidet ein Tanzstück von Filmemachen, Schauspiel oder der Oper? Und: Was ist der Unterschied zwischen der Inszenierung eines Tanzstücks von Grund auf und der Interpretation eines bestehenden Werkes, wie etwa einem Buch? Das Aufgreifen solcher Fragen gilt auch für den Bereich «Labor Tanz & Medien». Das heisst, wir wollen untersuchen, wie die Digitalisierung den Tanz beeinflusst, was sie mit der Nähe macht und ob sie Tänzer:innen gänzlich ersetzen kann – wie es zum Beispiel beim letzten ABBA-Konzert mit Hologrammen der Fall war.
Die Saison geht im Januar weiter. Was steht im zweiten Teil der Saison auf dem Programm?
Ich kann so viel verraten: Es bleibt spannend – mit Gastspielen und Neuinszenierungen, darunter die Premiere von «Hungry Hearts» von Corinne Eckenstein, Choreografin und Gründerin des Tanzhauses, sowie ein neues Stück von Sebastian Zuber, einem unserer Associated Artists. Im kommenden Jahr feiern wir ausserdem die Eröffnung der Magazine mit Projekten wie 7x7, unseren Beiträgen zum ESC, zur Art Basel und vielem mehr. Details zu den Vorstellungen und Projekten gibt es demnächst auf unserer Website.
Zur Person
Joachim Schlömer (62 J.) ist Tänzer, Choreograf und Regisseur. Bis 2001 war er unter anderem Direktor des Tanztheaters am Theater Basel. Darüber hinaus war er über 20 Jahre als freischaffender Regisseur und Choreograf tätig, unter anderem für die Salzburger Festspiele, das Wiener Burgtheater und das Nationaltheater Mannheim. Seit der Gründung des Tanzhauses Basel ist er Leiter des «Choreografischen Zentrums» und des «Labor Tanz & Medien».